Er ist der Kraftprotz unter Wulkows Gebäuden: Der Speicher ist in seiner Höhe dem Schloss ebenbürtig und überragt die Kirche bei weitem. Ein hoher Feldsteinsockel mit Bogenfenstern, die Klinkerfassade und die holzverkleidete Dachetage, dazu der nach Süden vorspringende Anbau – sie geben dem Haus ein markantes Gesicht.
Gebaut wurde der Speicher nach dem verheerendem Gutsbrand vom 2. Oktober 1931. Offenbar entstand das Erdgeschoss aus Feldsteinen der Mauern eines früheren Stallgebäudes, das bis dahin an derselben Stelle stand.
Der Speicher wird zum Ökospeicher
Getreide wird hier schon lange nicht mehr gelagert. Ökospeicher heißt das viergeschossige Gebäude seit 1990, so wie der 1991 gegründete Verein, der hier seinen Sitz hat. Das Haus wirkte damals als eine Art Gründerzentrum für ökologisch orientierte Unternehmen in der Region: Landwirtschaft, Fischzucht, Lehmbau, Energieberatung, Umweltbildung gehörten zu den Themen des Ökospeichers.
Darüber hinaus erinnern sich viele Menschen, die nach Wulkow kommen, immer wieder gern an die Marktwochenenden. Der Ökospeicher war kurz nach der politischen Wende in den frühen 1990er Jahren weit und breit der einzige Ort, an dem Bauern, Imker, Töpfer, Fischer, Schäfer, Spielzeugmacher und viele andere Produzenten aus der Region ihre Waren an einem Punkt direkt vermarkten konnten. Puppenspieler traten auf und andere Künstler, zu Weihnachten gab es Schnitzkunst und Modelleisenbahnen zu bestaunen. Der alte Speicher gab diesen Märkten stets eine besondere Atmosphäre, die von den Kunden gern angenommen wurde – fern von allem Warenhausgefunkel. 1999 wurde der Speicher von der hierzulande größten Radiowelle Antenne Brandenburg sogar als landesweit schönster Weihnachtsmarkt gekürt.
Gleichzeitig war der Speicher 1992 eines der ersten Gebäude in der Region, an dessen Südfassade eine Photovoltaikanlage installiert wurde. Mit der Zeit verlor der Ökospeicher allerdings seine Alleinstellung als Marktplatz. Märkte und Marktfeste schossen wie Pilze aus dem Boden. Rustikaler Charme allein konnte nicht die Notwendigkeit überdecken, dass hier auch renoviert werden musste. Anfang der 2000er Jahre ebbte das Markttreiben ab. Der Ökospeicher musste neu erfunden werden. Zunächst einigten sich Verein und Gemeinde darauf, das Haus zu gleichen Teilen zu erwerben.
„Multifunktionaler Wundertresen“
Der Verein begann die oberen Etagen auszubauen als Ort für Seminare, Büro und für Unterkünfte der Teilnehmer am Freiwilligen Ökologischen Jahr. Die unteren zwei Ebenen sollten zum Gemeindezentrum werden. Als sich die Stadtverordneten entschieden, statt des Speichers die frühere Schmiedeschänke als Dorfgemeinschaftshaus zu nutzen, war wieder eine Entscheidung gefragt: Oben Ausbau unten Leerstand – undenkbar. Was aber tun mit so viel Platz? Eine Wiederbelebung der Märkte auf so großem Raum schien kaum machbar, als reines Umweltbildungszentrum waren die Speicherböden im Verhältnis zu den Kapazitäten des Vereins zu groß. Auf einem Workshop diskutierten Vereinsmitglieder und Dorfbewohner 2007 verschiedene Ideen – von der Senioren-WG bis zum Ökoinfozentrum. Schließlich setzte sich die Vision eines „multifunktionalen Wundertresens“ durch: Einer flexiblen Kombination aus Biomarkt, Cafe´, Touristenrastplatz, Infozentrum und Kleinkunstbühne – alles im Erdgeschoss.
Ab 2008 jagte dann ein Arbeitseinsatz den nächsten. Rund 3500 Stunden wurden allein in den Ausbau des Erdgeschosses investiert. Gleichzeitig bedienten die Vereinsmitglieder ein provisorisches Cafe und einen Laden, betreuten Kunstausstellungen und organisierten immer wieder Feste rund um den Speicher, alles ehrenamtlich. Besucher wurden wieder neugierig – und zur Mitarbeit motiviert. Das Lehmsteinestampfen war für viele Gäste eine schöne Erfahrung. Die mit Namenszügen oder kleinen Bildern verzierten Ziegel sind jetzt in zwei Sichtwänden im Speicher verewigt. Manchen Besuchern war das Mitmachen sogar ein paar Euro für die Spendenbox wert.
Ort für Seminare und Veranstaltungen
2009 wurde auf der Südseite die alte Laderampe durch eine einladende Freitreppe ersetzt. Teilnehmer des Internationalen Jugendworkcamps bauten eine massive Holzterrasse für das Cafe´, die auch als Bühne oder Tanzfläche genutzt werden kann. Mit dem zweiten Fest „Folk am Speicher“ wurde das Holzdeck eingeweiht. 2009/10 konnte der Verein Fördermittel für den Umbau einwerben. Im Juni 2010 feierten Vereinsleute und Gäste schließlich die Eröffnung des neugestalteten Erdgeschosses mit Café und Dorfladen mit Bio- und Fairtrade-Sortiment. Nicht nur nebenbei: Der Speicher ist im Erdgeschoss nun behindertengerecht ausgebaut, mit Parkplätzen, Rollstuhlrampe und entsprechenden Toiletten.
In dieser Zeit entstand auf dem Anbau auf der Ostseite auch eine Dachterrasse, die für Seminare und andere Begegnungen genutzt werden kann. 2012 integrierte der Verein in die Brüstung der Terrasse eine Solarthermie-Anlage, die einen großen Teil des Warmwassers erzeugt – ausschließlich finanziert durch Spendenmittel.
Schritt für Schritt bauten die Vereinsmitglieder auch die erste Etage als Seminar- und Veranstaltungsraum aus. Ein größerer Schub folgte 2021: Da wurde der Raum unter anderem mit neuer Video- und Luftfiltertechnik ausgestattet, teilweise neu möbliert und optisch überarbeitet. Auch in diesem Fall war das durch ehrenamtlichen Einsatz möglich. Hilfreich waren zudem eine Förderung durch das Programm „Neustart Kultur“ und ein studentisches Design-Projekt der Fachhochschule Potsdam.
Mehr über das Vereinsleben und die Veranstaltungen im Speicher erfahren Sie unter https://oekospeicher.de